Praxistheorien: Implizites Wissen, Körper und Gewohnheiten

In den letzten Jahren ist es in der Soziologie zu einer deutlichen Hinwendung zum Konzept der Praktiken gekommen. Damit sind Aktivitäten gemeint, die in spezifischen Situationen bzw. Kontexten stattfinden, körperlich verankert und zumeist von Gewohnheiten getragen sind. Kulturelle Muster sind demnach nicht auf einer abstrakten Makroebene des Sozialen zu verorten, sondern drücken sich in konkreten Praktiken aus. Praxistheorien grenzen sich dementsprechend von Struktur- und Systemmodellen des Sozialen ab, aber auch von utilitaristischen sowie normativistischen Handlungstheorien, denen man einen ‚Intellektualismus’ vorwirft. Alternativ werden von Praxistheorien Gewohnheiten und implizite Wissensbestände betont, also ein gewisses know-how statt ein bewusst-kognitives knowing that.

Philosophisch bezieht man sich in diesen Theorien zumeist auf Martin Heidegger, Maurice Merleau-Ponty, den späten Ludwig Wittgenstein oder den Pragmatismus John Deweys – Theorien, die allesamt die leiblich-habituelle Situiertheit menschlichen Handelns betonen. In der Soziologie zählt man unter dem Begriff der Praxistheorien verschiedene Ansätze, so etwa die von Pierre Bourdieu, Anthony Giddens, Theodore Schatzki, Andreas Reckwitz oder solche aus der Ethnomethodologie und Wissenschafts- und Technikforschung. Diese verschiedenen Praxistheorien werden wir im Seminar kennenlernen. Dabei werden wir überprüfen, welchen Gewinn sie für die soziologische Theoriebildung und empirische Forschung bringen und ob es in Abgrenzung von anderen soziologischen Theorien gar gerechtfertigt ist, von einem practice turn in der Soziologie zu sprechen.

Einführende Literatur

Bongaerts, Gregor (2007): Soziale Praxis und Verhalten – Überlegungen zum Practice Turn in Social Theory. Zeitschrift für Soziologie 36, S. 246-260.

Schmidt, Robert (2012): Soziologie der Praktiken. Konzeptionelle Studien und empirische Analysen. Berlin: Suhrkamp.

Datenblatt
Semester: 
Wintersemester 2012/2013
Ort und Zeit: 
Montag, 16.15-17.45, R. 00.6 PSG
Sprache: 
Deutsch
ECTS BA: 
5.0

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