Zeit als Dimension sozialer Ordnung

 

Zeit ist, insbesondere neben dem Raum, eine zentrale Dimension gesellschaftlicher Ordnung. Einerseits vollzieht sich der Aufbau und die Reproduktion sozialer Ordnung in der Zeit, andererseits hängt das, was jeweils als soziale Ordnung verstanden wird an spezifischen, d.h. sozial konstruierten Zeitverständnissen, die dann ihrerseits etwas über den Wandel von gesellschaftlicher Ordnung auszusagen vermögen. Zeitverständnisse unterscheiden sich aber nicht nur historisch, sondern auch entsprechend je spezifischer kultureller Hintergründe, was nicht nur die Zeiten weit auseinanderliegender ‚Kulturräume‘ betrifft, sondern ebenso die uns vertraute Nahwelt alltäglicher Interaktion und Kommunikation, wo sich die Zeitimperative und -ordnungen pluralisierter Milieus, Organisationen und abstrakter Funktionssysteme kreuzen. An den sich darüber vermittelnden Rhythmen, Abläufen, Dauern, Geschwindigkeiten oder institutionell verfestigten (Lebensverlaufs-)Phasen richten wir Handlungspläne und Lebensentwürfe aus, bauen sich  individuelle und kollektive Gedächtnisse auf, die je gegenwärtig festlegen, was wir als Vergangenheit, Zukunft und sogar als Gegenwart in der Gegenwart verstehen wollen, oder was uns als ein Wissen über uns selbst, als Biografie und Identität erscheint. Zeitmarker wie Sonnenaufgang und -untergang, Kirchenkalender, Stunden- und Fahrpläne etc., ermöglichen Handlungsabstimmung. Zeit ist das gesellschaftliche Koordinationsmedium schlechthin (Elias). Damit ist sie zugleich aber auch jene Dimension, in der gesellschaftliche Synchronisationsanforderungen eine Virulenz erlangen – einer der Gründe, weshalb man heute häufig von „Beschleunigung“ (Rosa) spricht. Zeit lässt sich ökonomisch und herrschaftstechnologisch nutzen, an Zeitbudgets und -ansprüchen werden Status- und Prestigeordnungen sichtbar. Gerade weil Zeit in so vielfältiger Weise als Dimension sozialer Ordnung in Erscheinung tritt, stellt sich zudem die Frage, wie sie konstitutionstheoretisch zu begreifen ist, im Prozess der Onto- und Phylogenese (Dux),  als durée des Bewusstseins (Bergson; Husserl; Schütz) in seiner Verquickung mit der sozialen Zeit, die uns als gesellschaftliche Tatsache (Durkheim) gegenübertritt und hier mit anderen Dimensionen sozialer Ordnungsbildung interagiert (Luhmann).

Im Seminar werden auf der Grundlage empirisch-gegenstandsbezogener und eher theoretisch angelegter Texte unterschiedliche Zugänge zum Thema „Zeit als Dimension sozialer Ordnung“ gesucht.

Scheinerwerb:

Hausarbeit und Referat

Einführende Literatur:

  • Bergmann, Werner (1983): Das Problem der Zeit in der Soziologie. Ein Literaturüberblick zum Stand der „zeitsoziologischen“ Theorie und Forschung. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 35, 462-504.
  • Elias, Norbert (1988): Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 
Datenblatt
Semester: 
Sommersemester 2014
Ort und Zeit: 
Mittwoch, 10.15-11.45 Uhr
R. 5.013
Sprache: 
Deutsch
ECTS BA: 
7.5

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