Qualitative Organisationsforschung

Wenn wir als Soziolog_innen von Organisationen sprechen, meinen wir damit nicht einfach Menschen, die arbeitsteilig organisiert etwas tun, nicht die Gebäude, in denen dies geschieht, auch nicht die Akten, Leistungen bzw. Güter, die dabei anfallen bzw. produziert werden, nicht die (Organisations-)Pläne, an denen sich das Handeln organisiert ausrichten soll und schließlich nicht einmal das Wissen der Organisationsmitglieder. Freilich, all dies ist in Betrieben, Schulen, Gerichten, Parlamenten, Verwaltungen etc. anzutreffen, allerdings handelt es sich hierbei eher um Manifestation bzw. (sichtbare) Hervorbringungen von Organisationen. Für sich genommen bilden sie das Organisationsgeschehen keineswegs ab. In der Soziologie begreifen wir Organisationen als sinnhaft strukturierte soziale Handlungszusammenhänge, "die wesentlich durch sprachliche Handlungen bestimmt und im Medium der Kommunikation reflektiert und geändert werden." (Klemm/Liebold 2016: 1) Organisationen bauen auf alltägliche Interaktionen auf, zugleich stellen sie für diese aber auch rahmende und strukturierende Handlungskontexte dar, innerhalb derer sich ein spezifisches Wissen „von“ der Organisation aufbaut und formt. In der qualitativen Organisationsforschung ist die Erhebung und Rekonstruktion eines Wissens „von“ der Organisation in zweierlei Hinsicht von systematischer Relevanz:

Einerseits finden wir in ihm die Grundlage für einen eigenständigen Forschungszugang, mit dem es um die subjektiven Sichtweisen und Relevanzen von Personen geht. Gefragt wird also nach den Deutungen, Meinungen, Überzeugungen und Einschätzungen von Organisationsmitgliedern. Es erteilt Auskünfte darüber, wie sich diesen die Organisation als eine von ihnen ‚bewohnte‘ Lebenswelt erschließt und darstellt, welche Probleme alltäglich zu lösen und welche Verhaltens- bzw. Handlungsweisen gefordert sind. Andererseits kann ein Wissen „von“ der Organisation auch der Ansatzpunkt für die Erkundung tieferliegender struktureller Handlungsbedingungen sein; Handlungsbedingungen, in denen die beobachtbaren Praktiken des Organisierens fundieren und in denen das Wissen „von“ der Organisation selbst ankert. Genau genommen stößt erst eine solche Analyse zur Organisation als Handlungszusammenhang eigenen Rechts, zu seinen gesellschaftlichen Konstitutionsbedingungen und Stabilisierungsmechanismen, vor.

Im Seminar „Qualitative Organisationsforschung“ wollen wir uns mit beiden Zugangsweisen auseinandersetzen, ihren theoretischen Hintergründen sowie methodologischen und methodischen Anforderungen. Im Zentrum des Seminars wird jedoch das "qualitative Interview" stehen, denn das Interview ist das Instrument, mit dessen Hilfe wir typischerweise zu einem Wissen "von" der Organisation kommen. In diesem Zusammenhang wollen wir uns wiederum intensiv mit der Auswertung empirisch erhobenen Interviewmaterials beschäftigen – letztlich mit dem Ziel, vielleicht tatsächlich etwas über „die Organisation“ (also nicht nur die Mitglieder) zu lernen.

Voraussetzung für den Scheinerwerb: Mitarbeit in AGs bzw. Referat und Hausarbeit

Einführende Literatur:

Kühl, Stefan/Strodtholz, Petra/Taffershofer, Andreas (2009): Qualitative und quantitative Methoden der Organisationsforschung - ein Überblick. In: Kühl, Stefan/Strodtholz, Petra/Taffershofer, Andreas (Hrsg): Handbuch Methoden der Organisationsforschung. Quantitative und Qualitative Methoden, 1. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 13-27.

Klemm, Matthias/Liebold, Renate (2016): Qualitative Interviews in der Organisationsforschung. In: Matiaske, Wenzel/Rosenbohm, Sophie (Hrsg.): Handbuch Empirische Organisationsforschung. Wiesbaden: Springer Fachmedien: doi: 10.1007/978-3-658-08580-3_13-1.

Datenblatt
Semester: 
Wintersemester 2016/17
Ort und Zeit: 
Blockseminar
Einführung am 20.10.2016, 14.15-15.45 Uhr, A 602
Blöcke am 02.12. u. 16.12.2016; 13.01. u. 27.01.2017, jeweils von 10.30-16.30 Uhr (s.t.)
R. 5.013
Sprache: 
Deutsch
ECTS BA: 
7.5

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