Die Rolle der Religion in der Moderne

Vor weit über 150 Jahren erließ Karl Marx in bildhafter Sprache eines der bekanntesten Urteile über die Rolle der Religion in modernen Gesellschaften: sie ist das Opium des Volkes. Seine Kritik am religiösen Glauben und der sozialen Funktion von Religion stand in der Tradition der Aufklärung und war mit der Hoffnung verknüpft, sie mögen sich zugunsten moderner Orientierungen am Diesseits auflösen und der Verwirklichung der ins Jenseits projizierten Wünschen nach Glück, Erlösung und Vollkommenheit in den sozialen Verhältnissen des Hier und Jetzt Platz machen. Dass sich diese Hoffnung trotz all der vergangenen Zeit, den verschiedenen Nekrologen auf Gott und den modernisierungstheoretischen Gewissheiten über die Säkularisierung moderner Gesellschaften nicht erfüllt hat, zeigt deutlich die gegenwärtige Konjunktur von Göttern, Propheten und religiösen Formen der Vergemeinschaftung. Gut besuchte Kirchentage, ein neuer religiöser Fundamentalismus, fernöstliche Religionen und Esoterik sind nur einige wenige Erscheinungen, in denen zeitgenössische Religiosität aufblüht.

Aus soziologische Perspektive ist dieser anhaltende Erfolg der Religionen erklärungsbedürftig: sprach Max Weber noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Prozess der Entzauberung der Welt, so stellt sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Frage, ob diese Diagnose je im umfassenden Sinne Geltung beanspruchen konnte. Haben Wissenschaft, Kunst und moderne Formen des Zusammenlebens Religion und Religiosität tatsächlich aus der modernen Kultur verdrängt? Gibt es heute ein erneutes Erstarken von religiösen Bedürfnissen oder waren diese nie verschwunden? Übernehmen Religionen auch heute noch Funktionen bei der Strukturierung und Veränderung von sozialen Verhältnissen? Und welche Formen nehmen Religion und Religiosität in modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften an, die allen voran durch Kapitalismus, den modernen Staat, wissenschaftliche Rationalisierung, Massenkultur und Individualisierung geprägt sind?

Im kommenden Wintersemester wollen wir uns in Auseinandersetzung mit klassischen und aktuellen Autor*innen der Religionssoziologie mit dem Zusammenhang von Modernisierung und Säkularisierung befassen und uns um die Klärung von Fragen bemühen, die die Fortexistenz von Religion und Religiosität unter modernen gesellschaftlichen Verhältnissen aufwirft. Hierfür sehen wir uns (historisch) verschiedene Positionen innerhalb des Diskurses um Religion, Modernisierung und Säkularisierung an und untersuchen, welche Rollen der Religion in der Moderne bis heute zukamen und wie diese in den Sozial- und Gesellschaftswissenschaften reflektiert wurden.

Datenblatt
Semester: 
Wintersemester 2017/18
Ort und Zeit: 
PSG 00.4, Di 12:15-13:45
Beginn: 24.10.!
Sprache: 
Deutsch
ECTS BA: 
5.0

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