Armut in Deutschland

Prüfungsleistung: Referat und Hausarbeit, wahlweise auch Klausur.

Gegenwärtig scheint das Thema Armut insbesondere im Zusammenhang mit den sogenannten Hartz 4 Gesetzen und den Auswirkungen der Krisen des Finanzmarktkapitalismus und des Euroraums zu einem beliebten Thema im medialen Diskurs zu avancieren. Die Soziologie ist geradezu prädestiniert, sowohl das Problem der Armut in seinen verschiedenen Dimensionen, als auch Entstehung, Ursachen, Entwicklungen und mögliche Gegenmaßnahmen in unterschiedlichen Bereichen zu analysieren. Nach einer langen Phase der „soziologischen Nichtthematisierung“ (Leibfried, Voges 1992: 12) verfügt das Fach gegenwärtig, abhängig von der Untersuchungsperspektive, über ein großes Repertoire an Begriffen und Statuskategorien für die von Armut Betroffenen. Von Entbehrlichen, Überflüssigen, Degradierten, Exkludierten, Entkoppelten, usw. ist die Rede. Ist dies der Anfang der Herausbildung einer Soziologie der Armut oder vielmehr, wie Dirk Baecker meint, ein Hinweis darauf, dass die Soziologie bezogen auf das Armutsproblem mit ihrem „Begriffslatein“ am Ende ist? Wie kann man sowohl theoretisch als auch forschungspraktisch dem Umstand Rechnung tragen, dass Armut ein mehrdimensionales Problem ist, was soziale, kulturelle und ökonomische Aspekte umfasst? Was spricht für, was gegen eine Definition von Armut als multidimensionales Phänomen? Worum geht es bei der Debatte um die underclass? Was wird durch den Begriff der Exklusion beschrieben? Das Seminar soll zur Diskussion um Antworten auf diese und einige weitere Fragen anregen und die Teilnehmer in die Lage versetzen, theoretische Positionen der Armutsforschung, verschiedene Konzepte zur Erfassung von Armut, aktuelle Vorschläge der Armutsbekämpfung und die Entwicklung von Armut in Deutschland nachvollziehen und kritisch würdigen zu können. Ein entsprechender Semesterapparat steht demnächst in der Institutsbibliothek zur Verfügung. Bitte melden Sie sich via Mail mit einem konkreten Themenwunsch an. So können wir dann auch die Referatstermine und die Abgabe der Hausarbeiten gemeinsam absprechen.

Gliederung:

Die Konstruktion des Armen

  • Georg Simmel
  • Die elementaren Formen der Armut

Allgemeine Soziologie und Armut

  • Die Arbeitslosen von Marienthal
  • Das Elend der Welt
  • Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts
  • Integration vs. Desintegration oder der Kampf um Anerkennung

Armut dingfest machen!

  • Lebens- und Verwirklichungschancen
  • Lebensstandard
  • Lebenslagen

Armut messen

  • Datenquellen
  • Lebenslagen in Deutschland - Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

Dynamik von Armut

  • SFB 186 Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf und Die Zeit der Armut

(neue) Unterschicht und die Moralisierung sozialer Ungleichheit?

  • Culture of Poverty
  • Die unwürdigen Armen

No Money, No work, No morals von Welfare queen und fürsorglicher Vernachlässigung

  • Diskurse über Armut (exempl. Paul Nolte, Presseschau)

Armut und Soziale Gerechtigkeit

  • Texte zu und Paradigmen sozialer Gerechtigkeit

Begriffsbildung als Konstruktion eines sozialen Problems

  • Ist die Armutsbevölkerung in Deutschland exkludiert? 
  • Die Überflüssigen als transversale Kategorie?

Ausgewählte Dimensionen der Lebenslage

  • Armut verhindert Bildung- Lebenslagen und Zukunftschancen von Kindern
  • Meine Familie ist arm
  • Armut, soziale Ungleichheit und Gesundheit.

Ambivalenzen von Armutspolitik

  • Nahrungsmittelumverteilung durch die Tafeln

 

Literatur (Auswahl)

Barlösius, E., Das gesellschaftliche Verhältnis der Armen — Überlegungen zu einer theoretischen Konzeption einer Soziologie der Armut, in Barlösius, Eva und Wolfgang Ludwig-Mayerhofer, Die Armut der Gesellschaft. S.69-94.

Bude. Heinz. 1998. Die Überflüssigen als transversale Kategorie. In: Berger, Peter A. und Michael Vester (Hg) Alte Ungleichheiten-Neue Spaltungen, Wiesbaden: VS Verlag. S. 363-382.

Buhr, Petra und Stephan Leibfried. 2009. Ist die Armutsbevölkerung in Deutschland exkludiert? In: Stichweh, Rudolf und Paul Windorf (Hg) Inklusion und Exklusion: Analysen zur Sozialstruktur und sozialen Ungleichheit. Wiesbaden: VS Verlag. S. 103-122.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales. 2008. Lebenslagen in Deutschland Der 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Bonn

Butterwegge, Christoph. 1996. Nutzen und Nachteile der dynamischen Armutsforschung – Kritische Bemerkungen zu einer neuen Forschungsrichtung. In: Zeitschrift für Sozialreform, H. 2, S. 69-92.

Christoph Butterwegge. 2009. Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird. Frankfurt/New York: Campus Verlag S..216-233.

Castel, Robert und Klaus Dörre. 2008. Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/New York: Campus Verlag.

Coser, Lewis . 1992. Soziologie der Armut: Georg Simmel zum Gedächtnis. In: Leibfried, Stephan und Wolfgang Voges (Hg). Armut im modernen Wohlfahrtsstaat. Sonderheft Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 34-47.

Glatzer, Wolfgang und Werner Hübinger. 1990. Lebenslagen und Armut. In: Döring, Dieter, Walter Hanesch und Ernst Ulrich Huster. Armut im Wohlstand. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag. S. 31-55.  

Holz, Gerda. 2008. Armut verhindert Bildung- Lebenslagen und Zukunftschancen von Kindern. In: Sanders, Karin und Hans-Ulrich Weth (Hg). Armut und Teilhabe. Analysen und Impulse zum Diskurs um Armut und Gerechtigkeit. Wiesbaden: VS Verlag. S. 69- 96

Jacobs, Herbert. 1995. Armut. Zum Verhältnis von gesellschaftlicher Konstituierung und wissenschaftlicher Verwendung eines Begriffs. Soziale Welt, XX(4), S. 403- 420.

Kronauer, Martin (1997): „Soziale Ausgrenzung” und „Underclass”: Über neue Formen der gesellschaftlichen Spaltung. In: Leviathan, Jg. 25, H. 1, S. 28-49

Lampert, Thomas und Thomas Ziese. 2005. Armut, Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Expertise des Robert-Koch-Instituts http://www.bmas.de/portal/988/property=pdf/armut__soziale__ungleichheit__und__gesundheit.pdf

Leibfried, Stephan und Wolfgang Voges. 1992. Vom Ende einer Ausgrenzung?- Armut und Soziologie. In: Leibfried, Stephan und Wolfgang Voges (Hg). Armut im modernen Wohlfahrtsstaat. Sonderheft Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. Opladen: Westdeutscher Verlag. S. 9-33.

Leibfried, Stephan und Lutz Leisering. 1995. Zeit der Armut. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag, Kap. 2—4.

Leisering, Lutz. 2004. Paradigmen sozialer Gerechtigkeit. Normative Diskurse im Umbau des Sozialstaats. www.uni-bielefeld.de/soz/personen/Leisering/pdf/1.pdf.

Opielka, Michael. 2005. Besprechungsessay. Wohlfahrt und Gerechtigkeit. Ideenanalyse in der Soziologie der Sozialpolitik. In: Zeitschrift für Soziologie und Sozialpolitik, 57, 3, S. 551-599.

Ostner, Ilona (2003): Kinderarmut – eine aktuelle Debatte soziologisch betrachtet. In: Kränzl-Nagl, Renate / Mierendorff, Johanna / Olk, Thomas (Hg.): Kindheit im Wohlfahrtsstaat. Gesellschaftliche und politische Herausforderungen. Reihe Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung, Europäischen Zentrums Wien, Frankfurt, New York: Campus. S. 299-329 

Øyen, Else. 2005. Erzeugung von Armut: Eine andere Herangehensweise an das Verständnis von Armut. In: Genov, Nikolai (Hrsg.): Die Entwicklung des soziologischen Wissens. Wiesbaden: VS-Verlag, S. 353-396.

Paugam, Serge. 2008. Die elementaren Formen der Armut. Hamburg: Hamburger Edition.Piachaud, David. 1992. Wie misst man Armut? In: Leibfried, Stephan und Wolfgang Voges (Hg.). Armut im modernen Wohlfahrtsstaat. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 32/1992, S. 63-87.

Sanders, Karin. 2008. Armut und soziale Gerechtigkeit- Gedanken zum Umbau des Sozialstaates. In: Sanders, Karin und Hans-Ulrich Weth (Hg). Armut und Teilhabe. Analysen und Impulse zum Diskurs um Armut und Gerechtigkeit. Wiesbaden: VS Verlag. S. 11-26.

Sen, Amartya. 2002. Ökonomie für den Menschen. München: dtv, S. 110-123

Simmel, Georg. 1992. Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Gesamtausgabe Band 11. Frankfurt/Main. Kapitel 7: Der Arme. S. 512-555.

Stichweh. Rudolf. 2009. Leitgesichtspunkte einer Soziologie der Inklusion und Exklusion. In Stichweh, Rudolf und Paul Windorf (Hg) Inklusion und Exklusion: Analysen zur Sozialstruktur und sozialen Ungleichheit. Wiesbaden: VS Verlag. S. 29-44.

„Die Überflüssigen― Ein Gespräch zwischen Dirk Baecker, Heinz Bude, Axel Honneth und Helmut Wiesenthal. In: Bude, Heinz und Andreas Willisch (Hg). Exklusion. Die Debatte über die „Überflüssigen“. Frankfurt/Main. Suhrkamp Verlag. S. 31-49.  

Uske, Hans. 2000.  „Sozialschmarotzer“ und „Versager“. Missachtung und Anerkennung in Diskursen über Massenarbeitslosigkeit. In: Holtgrewe, Ursula / Voswinkel, Stephan / Wagner, Gabriele (Hrsg.): Anerkennung und Arbeit. Konstanz: UVK. S. 169-192.

Selke, Stefan. 2009. Fast ganz unten. Wie man in Deutschland durch die Hilfe von Lebensmitteltafeln satt wird. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot

Weth, Hans-Ulrich 2008. Neoliberaler Fundamentalismus und die Erosion des Sozialen. In: Sanders, Karin und Hans-Ulrich Weth (Hg). Armut und Teilhabe. Analysen und Impulse zum Diskurs um Armut und Gerechtigkeit. Wiesbaden: VS Verlag. S. 27-42.

Datenblatt
Semester: 
Wintersemester 2011/2012
Ort und Zeit: 
Blockseminar 27.2.-1.3.2012, je 10-17 Uhr
R. 5.052
Sprache: 
Deutsch
ECTS BA: 
5.0

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