Soziologie der öffentlichen Verwaltung

Öffentliche Verwaltung. Das klingt im ersten Moment nicht unbedingt spannend, denn wer denkt bei diesem Seminarthema nicht sogleich an verstaubte Aktenberge, unflexible Beamte oder das stundenlange Ausfüllen unverständlicher Formulare. Nun lässt sich aber kaum daran vorbeisehen, dass die öffentliche Verwaltung beinahe an allem was wir tun bzw. nicht tun entweder direkt oder indirekt beteiligt ist. Um mit ihr in Berührung zu kommen, muss man nicht unbedingt zum Amt gehen (Prüfungsamt, Standesamt etc.) oder auf Steuer- und Bußgeldbescheide warten, sie begegnet uns ebenso in Restaurants (Gesundheitsamt), im Straßenverkehr (StVO; Polizei), ggf. sogar beim Gebet (Läuteordnung) oder beim Geschlechtsakt (CE-Qualitätsprüfung von Kondomen; TÜV). Die öffentliche Verwaltung macht einen Gutteil unserer durchorganisierten Gesellschaft aus, wobei ihre Zuständigkeit im Wesentlichen im Vollzug (inkl. Kontrolle und Durchsetzung) erlassener Gesetze besteht. Ohne öffentliche Verwaltungen ist kaum ‚Staat zu machen‘, und zwar unabhängig von der Regierungsform: Verwaltungen sind Herrschaftsapparate, an deren Leistungen sowohl die Stabilität von Demokratien als auch Diktaturen hängt. Damit kommt der öffentlichen Verwaltung als solche eine außerordentliche Macht zu, was sich etwa daran zeigt, dass sie politische Reformen zum ‚entgleisen‘ bringen kann. Aus diesem Grund wird auch viel über die Steuerung, Kontrolle und Legitimation des Verwaltungshandelns debattiert. Häufig den Begriff der Bürokratie aufgreifend, wird zudem die Frage gestellt, ob und inwieweit sie sich überhaupt mit demokratischen Prinzipien verträgt (klassisch: Weber). Schränkt die bürokratisierte bzw. „verwaltete Welt“ (Adorno; Jacoby) nicht individuelle Entfaltungs- und Selbstbestimmungsmöglichkeiten ein? Finden wir in Verwaltungen nicht sogar bürokratische Maschinerien, die, obwohl das Prinzip "ohne Ansehen der Person gilt", intern wie extern notorisch Ungleichheiten produzieren (Bosetzky; jüngst Graeber)? Und schließlich: Hat die Amoralität des Verwaltungshandelns nicht auch den Terror des Konzentrationslagers möglich gemacht und den von Hannah Arendt beschriebenen Typus des „Verwaltungsmörders“ (in Gestalt von Adorf Eichmann) hervorgebracht? Davon abgesehen stehen Verwaltungen seit etwa den 1980er Jahren verstärkt ob einer die wirtschaftliche Tätigkeit strangulierenden Omnipräsenz und Ineffizienz unter Beschuss. So sollen Behörden heute ähnlich wie privatwirtschaftliche Unternehmen funktionieren (Private Public Partnership, Kundennähe, Outsourcing, Controlling etc.), weshalb u. a. von ihrer „Ökonomisierung“ die Rede ist. Aber trägt der Effizienzvergleich mit der Privatwirtschaft überhaupt? Und wird verglichen, wo wären die Gemeinsamkeiten zu suchen? Denn freilich, diese gibt es. So machte es für Weber keinen Unterschied, das „Gehäuse der Hörigkeit“ gewinnt in beiden Gestalt, den staatlichen und den privaten Bürokratien.

Diesen und weiteren Problemkomplexen geht das Seminar auf Basis der Lektüre klassischer und neuer Texte nach. Die Verwaltung wird historisch in ihrer Ausdifferenzierung, in ihrem Verhältnis zu anderen Gesellschaftsbereichen und in ihrer internen Organisation betrachtet. Wir bestaunen ihre (In-)Effizienz, betrachten ihr Personal, interessieren uns für ihre Effekte und steigen bis in ihre tiefsten Abgründe (z. B. Arendts "Banalität des Bösen") hinab. Außerdem ist eine halbtägige Exkursion geplant: Es soll in die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit nach Nürnberg gehen, wo neben einer Führung mit Vorträgen ‚leichte‘ Beamtenkost in der Kantine lockt. Langweilig?

Einführende Literatur: 

Mayntz, Renate (1985): Soziologie der öffentlichen Verwaltung. 3., überarb. Auflage. Heidelberg: C. F. Müller.

Derlien, Hans-Ulrich/Böhme, Doris/Heindl, Markus (2011): Bürokratietheorie. Einführung in eine Theorie der Verwaltung. Wiesbaden: VS Verlag.

Voraussetzungen für den Scheinerwerb:

Mitarbeit in Arbeitsgruppen bzw. Referat sowie eine Hausarbeit

 

 

 

 

 

 

 

Datenblatt
Semester: 
Sommersemester 2016
Ort und Zeit: 
Blockseminar, Vorbesprechung: 13.4. von 10-11.30 Uhr, R. 5.054
29.4. von 10-15 Uhr, R. 5.012; 20.5. von 10-15 Uhr, R. 5.054; 27.5. von 10-13.30 Uhr, R. 5.012
Sprache: 
Deutsch
ECTS BA: 
7.5

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