Soziologie des Helfens

Die Veranstaltung ist in zwei Abschnitte geteilt, einer im April und einer im Juni/Juli.

14.4.2016: 12:15 - 13:45; 21.4., 28.4., 9.6., 16.6., 30.6., 7.7.2016: 12:15 - 15:45,  R. 5.012

 

Helfen wird gemeinhin als eine Handlung verstanden, die ebenso auf ein Prinzip individueller Selbstbestimmung wie auch auf die Voraussetzung von Gesellschaft hindeutet. Die Ursächlichkeit dieser Sozialtechnologie ist bisher kaum umfassend analysiert und hinterfragt worden, einzig konkrete Anwendungsfelder wie die Sozial- oder Entwicklungshilfe werden in der Öffentlichkeit und der Wissenschaft breit und kontrovers diskutiert. Woher allerdings das Begehren kommt, helfen zu wollen, hat darin noch keine bedeutsame Auseinandersetzung erfahren.

Ansatzpunkt dieses Seminars wird sein, das Konzept des Helfens in verschiedenen Kulturen zu verfolgen, und dabei die Medien und Kulturtechniken zu reflektieren, durch welche diesen Konzepten Ausdruck verliehen wird. Wörtlich (im Sinne der 'Heiligen' Schrift) ist es im hiesigem Kulturraum bekanntermaßen die Nächstenliebe, welche das Individuum dazu anleitet, das eigene Seelenheil durch Handlungen des Helfens zu stärken. Auch soll von Interesse sein,  ob und wie sich diese Art der Handlungsmotivation in anderen Religionen wie dem Islam oder dem Buddhismus finden lässt. Gesellschaft wird schließlich hierbei als ein globales Phänomen angesehen, dass auf das Prinzip des Altruismus zurückgreift, so eine These. Folglich bindet sich das Konzept des Helfens an moralphilosophische Fragen, die ausgehend von dem Gedanken Kants zum Kategorischen Imperativ behandelt werden sollen, gerade in Bezug auf die (Un)Fehlbarkeit von Vernunft, Gewissen, Verantwortung, Freiheit oder Nachahmung. Grundlage für das gemeinsame Nachdenken über eine Philosophie des Helfens soll zudem die (Für)Sorge um sich und die Anderen sein, wobei wir uns bezüglich Kooperationen, Solidarisierungen und deren Hierarchisierungen in (kultur)anthropologischer Perspektive an Peter Kropotkin, Martin Heidegger und Émile Durkheim und in gesellschaftstheoretischer Hinsicht an Niklas Luhmann, Michel Foucault und Marcel Mauss orientieren werden. Das Augenmerk soll dabei insbesondere auf denen liegen, denen Hilfe zugute kommen soll. Dies ist verbunden mit der vorausgehenden Frage, wie und wodurch Bedürftigkeit deklariert beziehungsweise zugeschrieben wird. Wie bereits in den Debatten der Entwicklungshilfe ausdifferenziert, können hier fundamentale Divergenzen in Selbst- und Fremdbeschreibung vermutet werden, wie ethnologische Studien aufzeigen. Auch soll hinterfragt werden, mit welchen Kulturtechniken Bedürftigkeit festgestellt (z. B. Vermessungen, Statistiken, Skalen) und begegnet wird (bspw. durch Sprache, Geldzahlungen, Bautechniken). Anhand von Sozialtechnologien wie der Selbsthilfe und des Empowerments können ferner biopolitische Interessen betrachtet werden, so z.B. im Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe und der ihr angeschlossenen Ratgeber- und Therapiekultur. Dies eröffnet Perspektiven auf die Genese und Operationsweise der europäischen Sozialarbeit, internationaler politischer Modelle des Helfens und ihrer (Gewalt)Tätigkeit wie auch auf die alltagsweltlichen Ansätze der Psychotherapie. Eines der Ziele des Seminars soll sein, aktuelle Prozesse der humanitären Hilfe aus verschiedenen Ansätzen besser begreifen und hinterfragen zu können, schließlich stellen die 'Erklärung der Menschenrechte' und die 'Genfer Konventionen' global ausgelegte Paradigmen dar, die sowohl in ihrer Ausübung als auch in deren 'Empfang' uns alle betreffen oder betreffen können.

Die TeilnehmerInnen des Seminars können davon ausgehen, mit einem umfassenden Spektrum an soziologischer und geistes- beziehungsweise kulturwissenschaftlicher Literatur und deren Perspektiven zu den jeweiligen Themenfeldern versorgt zu werden. Erwartet wird die Übernahme eines Referats beziehungsweise das eigenständige Erarbeiten eines (methodischen) Konzepts für eine (Projekt)Arbeit, welche sich an den Perspektiven des Seminar(plan)s orientieren und sich möglichst an die konkrete Lebenswelt richten sollte. Die Ausarbeitung kann durch Kulturtechniken wie Schrift, Photographie oder auch Film erfolgen.

 

Literatur zur Vorbereitung:

Michel Foucault: 'Omnes et singulatim: zu einer Kritik der politischen Vernunft (1979)', in; Daniel Defert/ François Lagrange (Hg.): Analytik der Macht. Frankfurt am Main, 2005. S. 188-204.

Niklas Luhmann: Formen des Helfens im Wandel gesellschaftlicher Bedingungen, in; Ders.: Soziologische Aufklärung 2. Aufsätze zu Theorie und Gesellschaft. Opladen, 1992. S. 134-149.

Eva Illouz: 'Das Narrativ der Selbstverwirklichung', in; Dies.: Gefühle in Zeiten des Kapitalismus. Frankfurter Adorno Vorlesungen 2004. Frankfurt am Main, 2006. S. 69-96.

Iris Därmann: 'Marcel Mauss. Sozialtheorie der Gabe', in; Dies.: Theorien der Gabe. Dresden, 2010. S. 12-35.

Pierre Clastres: 'Kopernikus und die Wilden', in; Ders.: Staatsfeinde. Frankfurt am Main, 1976. S. 7-27.

Georg Simmel: 'Der Arme', in; Ders.: Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Frankfurt am Main, 1992. S. 512-555.

Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Liebe und Haß. Zur Naturgeschichte elementarer Verhaltensweisen. München, 1989.

Peter Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. Leipzig, 1908.

Émile Durkheim: Über die Teilung der sozialen Arbeit. Frankfurt am Main, 1977.

Hans Scherpner: Theorie der Fürsorge. Göttingen, 1962.

Joachim Weber: Philosophie des Helfens. Ein Hilfekonzept in Auseinandersetzung mit dem Denken von Hannah Arendt. Münster, 2003.

 

Datenblatt
Semester: 
Sommersemester 2016
Ort und Zeit: 
14.4: 12.15-13.45 Uhr; 21.4./ 28.4./ 9.6./16.6./30.6./7.7..2016 :12-16 h
R. 5.012
Sprache: 
Deutsch
ECTS BA: 
5.0

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