Kritik der Integrationsrealität. Eine diskurshistorische Analyse

Die Sarrazin-Debatte hat in wissenschaftlichen Kreisen ein Bedürfnis geweckt, dem verzerrten Integrationsdiskurs etwas entgegenzuhalten. Seit 2010 wurde dementsprechend eine ganze Reihe wissenschaftlicher Artikel veröffentlicht, die mit den verzerrten Interpretationen von Tatsachen über Menschen mit Migrationshintergrund—und insbesondere über Menschen aus dem türkischen oder arabischen Kulturraum—aufräumen und eine rationalere Debatte anstoßen sollte. So präsentierten z.B. Forscher des Forschungsprojekts „Hybride europäisch-muslimische Identitätsmodelle“ um Naika Foroutan eine empirische Widerlegung Sarrazins zentraler Thesen. Dabei wurden Sarrazins Berechnungen und Interpretationen Schritt für Schritt als nicht mit der Integrationsrealität übereinstimmend entlarvt.

Eine solche Kritik des Integrationsdiskurses basiert jedoch auf der Annahme einer erfahrbaren Integrationsrealität, die gegen den Integrationsdiskurs in Position gebracht werden kann. In einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung erläutert Dietrich Thränhardt den Zusammenhang zwischen Integrationsdiskurs und Integrationsrealität in Deutschland und den Niederlanden: In beiden Fällen sei eine objektive Verbesserung der Integrationsrealität einhergegangen mit einer Radikalisierung des Integrationsdiskurses (in den Niederlanden durch Pim Fortuyn, in Deutschland durch Thilo Sarrazin). Aber was ist denn nun eigentlich die objektive Integrationsrealität? Betrachten wir dieses Konzept durch eine diskursanalytische Brille, so wird schnell offenbar, dass eine objektive Integrationsrealität uns als BeobachterInnen überhaupt nicht zugänglich ist. Niemand wird von sich behaupten können, die Integration selbst beobachtet zu haben. Wir haben nur Zugang zu Repräsentationen: Statistiken, Anekdoten und Theorien. Und wo eine Repräsentation ist, da ist auch eine Repräsentantin oder ein Repräsentant mit Interessen und Strategien.

Wir werden uns deshalb in diesem Seminar der Frage stellen: Wer repräsentiert denn eigentlich wie und warum die Integration? Dabei werden wir uns eines methodologischen Instrumentariums bedienen, welches seit 30 Jahren in der Erforschung von, unter anderem, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit eingesetzt wird: der Diskurshistorischen Methode nach Ruth Wodak. Nach einer Einführung in die Diskurshistorische Methode werden wir uns ausgewählten Repräsentationen der Integrationsrealität zuwenden und diese im Seminar analysieren. 

Prüfungsleistung: Referat und Hausarbeit

Auszug aus der Literaturliste:

Foroutan, N. (2011). Sarrazins Thesen auf dem Prüfstand: Eine empirische Widerlegung zentraler Thesen Thilo Sarrazins mit Bezug auf Muslime in Deutschland. Zugriff am 25.01.2013 auf Hybride europäisch - muslimische Identitätsmodelle: http://www.heymat.hu-berlin.de/sarrazin2010

Titscher, S., Wodak, R., Meyer, M., & Vetter, E. (1998). Methoden der Textanalyse. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 178-203.

Thränhardt, D. (2010). Integrationsrealität und Integrationsdiskurs. AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE (APUZ). 46-47/2010, S. 16-21. Zugriff am 25.01.2013 bpb: http://www.bpb.de/system/files/pdf/WPRGPM.pdf

 

Datenblatt
Semester: 
Sommersemester 2013
Ort und Zeit: 
Dienstag, 12.15-13.45 Uhr, PSG 00.4
Sprache: 
Deutsch
ECTS BA: 
7.5

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