„Ich möchte lieber nicht“. Das Unbehagen mit der Organspende und die Praxis der Kritik. Eine soziologische und ethische Analyse

Basisinformationen
Beginn: 
2014
Ende: 
2017

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Aktuelles:

Videodokumentation der Tagung "Ja? Nein? Vielleicht?"

Einstellung zur Organspende: Kulturell tief verwurzelt - Deutsches Ärzteblatt 2016; 113(37)

Pressemitteilung der FAU

"Muss sich schämen, wer seine Niere nicht hergeben will?" - Zeit Online, 05.August 2016

 

Das Projekt:

In Deutschland ist die Praxis des Organspendens hochgradig an die Akzeptanz der Bevölkerung gebunden. Jedoch verweisen beispielsweise Umfragen der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) immer wieder auf die Diskrepanz zwischen genereller Zustimmung und dem tatsächlichen Besitz eines (zustimmend ausgefüllten) Organspendeausweises, welche für den in Deutschland konstatierten "Organmangel" verantwortlich gemacht wird. Hier setzen gesetzliche Regelungen und öffentliche Kampagnen an, welche postulieren, durch gezielte Information eine Meinungsbildung ermöglichen zu können. Dieser Organspende-Diskurs verläuft jedoch auffallend einseitig: Zwar wird Organspende stets als individuelle Entscheidung gerahmt, die jeder und jede für sich selbst treffen soll. Jedoch zielen die Kampagnen vor dem Hintergrund des "Organmangels“ stets auf eine Erhöhung der Spendenbereitschaft ab. Dabei wird die Organspende meist als altruistischer Akt der Nächstenliebe und Geschenk des Lebens gerahmt. Ob diese starken moralischen Imperative Skeptiker der Organspende überzeugt, ist allerdings fraglich, denn in ihrer Eigenlogik sind diese Positionen bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Dies hat sich unser Projekt zur Aufgabe gemacht:

In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt steht dabei nicht nur die Frage im Zentrum, welche Positionen von Nicht-Spender/innen eingenommen werden, sondern auch wie im Alltag mit den Anrufungen und Entscheidungsaufforderungen zur Organspende umgegangen wird und inwieweit für Nicht-Spender/innen hier überhaupt ein angemessener (öffentlicher) Standpunkt angeboten wird. Hierbei fokussiert das Projekt das Spannungsfeld zwischen medialem Diskurs und den zu einer Entscheidung Aufgeforderten: Zum einen werden mit Bürger/innen Einzelinterviews und Gruppendiskussionen durchgeführt, die auch Unsicherheiten, Enttäuschungen, Ängste und Verletzungen thematisieren (soziologisches Teilprojekt). Zum anderen werden deutsche Kampagnen der letzten 20 Jahre mit Methoden der Cultural Studies in moralisch-politischer Hinsicht auf konsistente oder auch implizit widersprüchliche Deutungen untersucht (bioethisches Teilprojekt).

Das Projekt geht davon aus, dass Unsicherheit und Unbehagen legitime Intuitionen sind, die zu moralisch relevanten Standpunkten der Verweigerung, Skepsis und Kritik führen, welche von vielen Bürger/innen auch ethisch reflektiert werden. Hiermit sollen Ansätze entwickelt werden, wie mit pluralen Vorstellungen zur Körperlichkeit und deren Relevanz für die Organspende in einer liberalen Biopolitik umzugehen wäre. Durch die Verknüpfung der Teilprojekte werden sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftspolitisch relevante Ergebnisse erwartet: Einerseits empirische Einsichten zur affektiv-leiblichen und sozialen Ambivalenz des Organspendens, andererseits eine bioethische Analyse der öffentlichen moralischen Aufforderungen sowie die Weiterentwicklung sozialtheoretischer und normativer Ansätze, die zur Reflexion der gesellschaftlichen Rolle der Transplantationsmedizin beitragen.

 

 

Veröffentlichungen:

Adloff, Frank / Pfaller, Larissa (2017): Critique in statu nascendi? The Reluctance towards Organ Donation. In: Historical Social Research, special issue "Critique and Social Change: Historical, Cultural, and Institutional Perspectives", Volume 42, Issue 3, S. 24-40

Hansen, Solveig Lena / Eisner, Marthe Irene / Pfaller, Larissa / Schicktanz, Silke (2017): “Are You In or Are You Out?!” Moral Appeals to the Public in Organ Donation Poster Campaigns: A Multimodal and Ethical Analysis. In: Health Communication, DOI: 10.1080/10410236.2017.1331187.

Schicktanz, Silke / Pfaller, Larissa / Hansen, Solveig Lena / Boos, Moritz (2017): Attitudes towards brain death and conceptions of the body in relation to willingness or reluctance to donate: Results of a student survey before and after the German transplantation scandals and legal changes. In: Journal of Public Health. http://link.springer.com/article/10.1007/s10389-017-0786-3

Schicktanz Silke /  Wöhlke, Sabine (2017): The Utterable and Unutterable. Anthropological Meaning of the Body in the Context of Organ Transplantation. Dilemata, 9, 23, 107-127.

Schicktanz, Silke / Wöhlke, Sabine (2017): Leben im Anderen. Vorstellungen zur Personalitätsübertragung zwischen kulturell Sagbarem und Unsagbarem. In: H. Knoblauch et al. (Hg.): Transmortalität und Organspende. Weinheim, 75-105.

Schicktanz, Silke / Pfaller, Larissa / Hansen, Solveig Lena (2016): Einstellungen zur Organspende. Kulturell tief verwurzelt. In: Deutsches Ärzteblatt, 113 Jg., H. 37, S. A1586-A1588.

Böhrer, Annerose / Wunder, Angelika (2016): Ja? Nein? Vielleicht? Diskurs und Kritik der Organspende. In: Diatra - Zeitschrift für Nephrologie, Transplantation und Diabetologie, H. 4-2016, S. 48-50.

Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke (im Erscheinen): Bilder fürs Leben: Versteckte moralische Botschaften als Reaktion auf die Krise der Organspende. In: A. Esser et al. (Hg.): Die Krise der Organspende – Anspruch, Analyse und Kritik aktueller Aufklärungsbemühungen im Kontext der postmortalen Organspende in Deutschland. Berlin.

 

Vorträge und Präsentationen:

Hansen, Solveig Lena / Böhrer, Annerose (2016): Organtransplantation in Deutschland. Ein Überblick über Kampagnen, ihre Wirkweisen und ethische Relevanz. IPPNW-Studierendentreffen, 12.11.2016, Hannover.

Hansen, Solveig Lena / Pfaller, Larissa (2016): “Als wäre es völlig normal oder einfach“ – Wirkmechanismen moralischer Botschaften deutscher Organspende-Kampagnen. In: 25. Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft, 05.-08.10.2016, Essen.

Schicktanz, Silke / Pfaller, Larissa / Hansen, Solveig Lena (2016): Ergebnisse einer quantitativen Umfrage unter Göttinger Studierenden vor und nach den Skandalen: Der Einfluss von Körperkonzepten und Einstellungen zum Hirntod auf die Spendebereitschaft. In: 25. Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft, 05.-08.10.2016, Essen.

Böhrer, Annerose / Pfaller, Larissa (2016): „Für mich ist es fast eine Grenzüberschreitung“. Zum Unbehagen mit der Organspende. In: Geschlossene Gesellschaften - 38. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, 26.-30.09.2016 2016, Bamberg.

Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke / Pfaller, Larissa (2016): Zwischen Information und Befürwortung Ethische Aspekte öffentlicher Gesundheitskommunikation am Beispiel der Organtransplantation (Poster-Präsentation). In: Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin, 22.-24.09.2016, Bielefeld.

Böhrer, Annerose (2016): Materielle Kultur medizinischer Netzwerke am Beispiel Organspende, In: FIW Summer School 2016, Bridging the Gap: Soziologische Theorie und empirische Forschung, 06.-09.09.2016, Bonn.

Pfaller, Larissa / Hansen, Solveig Lena (2016): Warum das Nein zur Organspende so schwer fällt. In: Ja? Nein? Vielleicht? Diskurs und Kritik der Organspende. 18.-19.07.2016, Erlangen.

Böhrer, Annerose (2016): "Mein Ausweis, meine Entscheidung"? – Eine objektsoziologische Spurensuche im Organspendediskurs (Posterpräsentation), In: Ja? Nein? Vielleicht? Diskurs und Kritik der Organspende, 18.-19.07.2016, Erlangen.

Wunder, Angelika (2016): Wem möchte ich meine Organe spenden? (Posterpräsentation), In: Ja? Nein? Vielleicht? Diskurs und Kritik der Organspende, 18.-19.07.2016, Erlangen. 

Hansen, Solveig, Lena / Schicktanz, Silke (2016): Face-to-face?! Zur moralischen Relevanz und sozialen Funktion visueller Botschaften in der Transplantationsmedizin, In: Nach der Hybridität. Medien und Politiken der Transplantationen, 23.-25.06.2016, Gießen.

Hansen, Solveig, Lena / Schicktanz, Silke (2016): No space for rejection?! The moral relevance of campaigns in the discourse of organ transplantation (Posterpräsentation), In: World Congress of Bioethics, 14.-17.06.2016, Edinburgh.

Schicktanz, Silke / Hansen, Solveig Lena: A critical reflection on moral claims and invocations of public campaigns for organ donation – Discrepancies, potential conflicts, and practical limitations, In: Workshop ELPAT-Working Group: “Public Issues”, 06.-08.05.2016, Granada.

Hansen, Solveig Lena / Pfaller, Larissa (2016): Depicting Moral Messages – an Analysis of German Poster Campaigns on Organ Transplantation. In: 4th ELPAT Congress. Ethical, Legal and Psychological Aspects of Transplantation. Global Challenges, 22.-25.04.2016, Rom.

Pfaller, Larissa / Schicktanz, Silke / Hansen, Solveig Lena (2016): Increased Organ Donation Willingness after German Transplantation Scandals. The Influence of public Attitudes towards Brain-death and Concepts of the Body. In: 4th ELPAT Congress. Ethical, Legal and Psychological Aspects of Transplantation. Global Challenges, 22.-25.04.2016, Rom.

Pfaller, Larissa / Hansen, Solveig Lena (2016): Rejecting Organ Donation – A Typology of Reluctance (Poster-Präsentation). In: 4th ELPAT Congress. Ethical, Legal and Psychological Aspects of Transplantation. Global Challenges, 22.-25.04.2016, Rom.

Schicktanz, Silke (2015): Moralische Appelle, Kampagnen und öffentliche Information zur Organspende: eine kritische Zwischenstandsanalyse, In: 27. Medizin-Theologie-Symposium der Evangelischen Akademie Tutzing: „...als wär`s ein Teil von mir...“ Zur Debatte um Hirntod, Organspende und Transplantation, 27.–29.11.2015, Rothenburg.

Hansen, Solveig Lena (2015): Pictures for Life. Analyzing the Moral Iconography of the German Organ Transplantation Foundation, In: International Workshop: ‘TO WHOM IT MAY CONCERN…’ Methodological and Ethical Perspectives of Visual Health Communication. Department of Medical Ethics and the History of Medicine, 07.10.2015, Göttingen.

Pfaller, Larissa / Hansen, Solveig Lena (2015): Projektvorstellung: „Ich möchte lieber nicht“, Workshop: Die Kritik an der Organspende, 31.03.2015, Erlangen.

Hansen, Solveig Lena / Pfaller, Larissa (2015): Soziologische und ethische Fragen an das Unbehagen mit der Organspende: Ein interdisziplinäres Projekt zur Praxis der Kritik. In: „Organspende und Transmortalität: Die Perspektive der Medical Humanities“, 20.03.2015, Aachen.

Schicktanz, Silke (2015): Finanzielle Anreize für die Organspende? Empirisch-ethische Überlegungen, Institut für Psychosomatik, Kolloquium, 12.01.2015, Charité Berlin.

Schicktanz, Silke (2014): Why giving organs? Empirical and ethical insights on altruism, incentives, and reciprocity, Bioethik-Kolloquium, 16.12.2014, Universitätsmedizin Innsbruck.

 

Workshops und Tagungen: (Poster und Programme: hier)

Hansen, Solveig Lena: Reihe „Situiertes Wissen – Theorie, Methodologie, Empirie“. Workshop: „Forschen im und über das Netz“, mit Dr. Christoph Bareither (Tübingen): online.feld.forschen. Ethnografische Analysen durch das Medium Internet. 23./24.01.2017, Göttingen.

Adloff, Frank / Pfaller, Larissa /  Schicktanz, Silke / Hansen, Solveig Lena: „Ja? Nein? Vielleicht? Diskurs und Kritik der Organspende“. Interdisziplinäre Abschlusstagung, 18.-19.07.2016, Erlangen.

Adloff, Frank / Pfaller, Larissa /  Schicktanz, Silke / Hansen, Solveig Lena: Podiumsdiskussion „Organspende zwischen Aufklärung und Reklame – Ein Gespräch über Kampagnen, Medien und Kritik“, Moderation: S. Schicktanz, 18.07.2016, Erlangen.

Hansen, Solveig Lena: Reihe „Situiertes Wissen – Theorie, Methodologie, Empirie“. Workshop: „Analysen visueller Narrative in der Geschlechterforschung - praktische Anwendung und theoretische Reflexion?“ mit Prof. Dr. Elke Grittmann (Lüneburg), 30.6./1.7.2016, Göttingen.

Hansen, Solveig Lena / Schicktanz, Silke: ‘TO WHOM IT MAY CONCERN…’ Methodological and Ethical Perspectives of Visual Health Communication. International Workshop, 07.10.2015, Göttingen.

Pfaller, Larissa / Hansen, Solveig Lena: „Die Kritik an der Organspende", 31.03.2015, Erlangen.

Schicktanz, Silke / Pfaller Larissa: „Frauen geben, Männer nehmen?“ Genderaspekte in der Organtransplantation – empirische, theoretische und normative Fragen. Gefördert durch das Büro für Gender und Diversity der FAU –  „Förderung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“ (FFL), 31.01.2014, Erlangen.

 

Beteiligte Personen und Institutionen
Beteiligte Institutsangehörige: 
AnhangGröße
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poster_tagung.pdf2.54 MB
poster_podiumsdiskussion.pdf3.35 MB
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